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Gipfeltreffen in Davos

9 Monate Vorbereitung. Mindestens. Der Startschuß fällt um 8 Uhr.

Ein Schrei, ein Klaps auf den Po - das Abenteuer LebensLauf kann beginnen. Auch

ein Arzt ist anwesend. "Trinken, Trinken, Trinken!" befiehlt er den

LäuferInnen. Auch Babys lernen dies zuerst. (Über) Lebensnotwendig.

Großes Staunen an der Promenade in Davos: Was sind denn das für

Erdenbürger? Zum Teil mit Rucksack. 78,5 Kilometer! Und mancher fragt

erstaunt: "Wieviele Tage brauchen die denn dafür?"

Ab Km 6 ist dann das Schaulaufen zu Ende. Der Ernst des Lebens beginnt.

Alles spielerisch leicht wie in der Grundschule, die erste Steigung in

Frauenkirch nur eine lästige Fußnote. Schnell ist Km 10 erreicht,

man ist noch frisch. Aber der Blick voraus läßt die ersten

Hürden erkennen. Ständiges kräftezehrendes Auf und Ab zwischen

Km 10 und 20, Pubertät, die 1. Liebe, Schulabschluß,

Berufsentscheidung. Weichenstellung. In der Steigung nach MONSTEIN muß

jeder für sich seinen Rhythm of Life finden. Seinen Weg, seinen Sinn des

Lebens. Neben der Bahnlinie vor dem Landwassertunnel sollte man dann in der

richtigen Spur sein. Der Höhepunkt dieses 1. Teils folgt: WIESEN mit

seinem beeindruckenden Bauwerk, dem Viadukt der Rhätischen Bahn.

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"Swiss Alpine" />

Der Platzspeaker begrüßt uns und die Zuschauer stehen Spalier und

applaudieren. (M)eine Hochzeitsfeier. Km 23 - immer noch relativ frisch, aber

schon erste Spurender vergangenen Zeit. Wie geht es weiter? Keiner weiß

es. Dann schon Km 30 - FILISUR - der 1. Abschnitt des Lebens ist für die

Landwasser-LäuferInnen zu Ende. Für alle, die noch über die

Hälfte vor sich haben, nun die Gewißheit: die Jugend ist

endgültig vorbei, die 3 steht vorne. Im Wettlauf mit der Zeit gilt es in

der Steigung nach Bergün kraftsparend und vorausschauend zu laufen- die

bizarren Formen des Bergünersteins lenken davon nur kurze Zeit ab.

Faszination Erdgeschichte. Wunder der Evolution. Jeder für sich ein

Originalinmitten des Kosmos. Mittagszeit. Bergfest. Kilometerpunkt Nr.

39.BERGÜN ist erreicht.

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"Swiss Alpine" />

Eine Umarmung, ein Kuß des Partners. Der Adrenalinstoß.Das

Signal: Ich baue auf dich. Nutze deine Stärken. Wer schon so weit gekommen

ist, muß weiterkämpfen. Rein rechnerisch ist die Hälfte

erreicht, aber aus Erfahrung weiß jeder, daß eigentlich erst jetzt

der Swiss Alpine Marathon richtig beginnt.BERGÜN - dieses faszinierende

Bergdorf im Albulatal. Alpenidylle pur, das Schmuckstück, der Juwel des

SAD. Es ist eine Sünde, hier nur kurz zu verweilen.Sogar die

Kirchenglocken läuten. Glück, hier sein zu düfen.

Gänsehaut, auf die die Sonne brennt. Hochsommer. Es folgt das eigentliche

Herzstück des SAD: das Val Tuours,von mir einmal "Tal des Todes"

genannt, als es noch hinauf zum Sertig-Paß ging.Seit Jahren heißt

der Endpunkt dieser Kletterpartie: KESCHHÜTTE. Hinauf ist es wie auf der

Karriereleiter. Ab Km 40 scheinbar unüberwindbare Steigungen, die nie ein

Ende zu haben scheinen. Die Midlife-Crisis läßt grüßen.

Die Prüfung, der Wegweiser in der Mitte des Lebens. Vor dir und hinter dir

die Konkurrenten. Schmaler Grat. Um dich herum die einzigartige Vegetation der

hochalpinen Landschaft. Die Farben der Bergblumen. Faszinierend. Atemberaubend.

Ganz klar: jetzt heißt es, Farbe zu bekennen. Im Pulk und doch jeder

für sich allein gegen den Berg. Kämpfen auf der Stairway to heaven.

One day in paradise.Und schließlich der vorläufige Lohn aller

Anstrengungen: die Keschhütte ist erreichtauf 2.632 Metern

Meereshöhe. Die dünne Luft riecht nach Massageöl, Bananen und

Rivella. Der Blick hinüber zum Piz Kesch und seinen Gletschern - so

ähnlich muß das Paradies aussehen. In mir Jubel, Stolz,

Schwerelosigkeit. Ich bin Neil Armstrong.Für jeden müßte ein

Chefsessel an der Keschhütte warten. Der Karrierehöhepunkt um die 50.

Nie wieder werden wir dem Himmel näher sein. The sky is the limit.Top of

the world. Aber unaufhaltsam muß(?) man weiter. Ein Biß in einen

Apfel. Ade Paradies. Ab Km 52,3 bis Km 60,8 bleiben wir in dieser Höhe,

auf diesem Niveau. Auch jetztnoch jede Menge Unwägbarkeiten, eventuell ein

nachmittäglicher Hagelschauer, der dazu führen kann, daß man

auf dem Scaletta-Paß ins Gras, pardon, in den Schnee beißen

muß. Wer (Familien)Glück hat, weiß jetzt sogar seine

erwachsenen Kinder neben sich, wie bei Organisator Andrea Tuffli. Aufgeben?

Niemals. Aber der Gesundheitscheck bei "Betriebsarzt" Dr. Beat

Villiger auf dem SCALETTA-PASS ist Pflicht.Die Frage: "Wie geht es?"

nach 60,8 Km Berglauf, nach 60,8 Lebensjahren kann nur äußerst

selten mit einem ehrlichen, deutlichen Ja beantwortet werden. Zu markant sind

die Spuren im Gesicht, am Körper und in der Seele eingebrannt. Du hast

deine Identität. Aber Vorsicht! Bei einem: "Ja. Mir geht es

gut!" reicht schon ein Blick hinab ins Dischmatal, aufkommende Euphorie

einzudämmen.

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"Swiss Alpine" />

Der Abstieg beginnt. Muskeln schmerzen, weil die Füße oft

verzweifelt Halt auf rutschigen Steinen und Schneefeldern suchen. Aber mit 65

ist es geschafft: der (Un)Ruhestand, der Lebensabend ist da. Für uns

LäuferInnen bedeutet dies auf dem Dürrboden:Nur noch 14 Km bis ins

Ziel, meine allabendliche Trainingsdistanz. Jetzt sollte jeder wieder lernen,

in relativ flachem Gelände das Laufen zu genießen. Es beginnt nach

den Höhen und Tiefen eines ganzen Tages der Endspurt des Lebens. Oder die

Tour de Honeur, wie bei der Tour de France die letzte Etappe auf dem Champs

Elysees genannt wird. Alle finden sich nun wieder zusammen, ob Walker,

Marathonis oder Teamläufer.Familientreffen. Warum fällt mir gerade

jetzt eine Lebensweisheit aus dem Berufsleben ein: Vergiß nie auf dem Weg

nach oben, daß du alle wieder siehst auf dem Weg nach unten. Und dann ist

es geschafft. Aus. Vorbei. Das Erlebnis des Zieleinlaufs am legendären

Davoser Eisstadion ist wie ein kleiner Tod.Im Gesicht in wenigen Stunden um

Jahre gealtert, ausgebrannt. 78,5 Km immer Ende Juli - (m)ein Leben im

Zeitraffer. In der heutigen schnelllebigen Internetwelt ganz normal. Oder doch

nicht?Das muß jeder für sich selbst herausfinden.

Was im Winter für die internationale Businesswelt das

Weltwirtschaftsforum Davos ist, das ist für uns LäuferInnen der Swiss

Alpine Marathon. Ein jährliches Ereignis mit so vielen Dingen, die mein

Leben immer bereichert haben. Und einmal möchte ich im Ziel sagen:

"Für mich sind alle Kapitel des Buches "Mein LebensLauf"

geschrieben. P.S. Tage später lese ich in der Zeitung: Die

durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in Mitteleuropa beträgt

78,5 Jahre. So viele Jahre, wie der SAD Kilometer hat. Heute bin ich halb so

alt, pardon, jung. Ich möchte einmal 78,5 Jahre werden.

Impressionen von Heinz-Peter Römer - *06.07.1962

Teilnehmer aller bisherigen Swiss Alpine Marathonläufe

e-mail: roemer50@hotmail.com