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Halbmarathon-Jubiläum (2): Interview mit Stefan Senkel

Stefan Senkel war der Initiator und Organisator des Ost-Berliner Friedenslaufes. Nach der Wende entstand aus Friedenslauf und SCC-Halbmarathon der BERLINER HALBMARATHON.

Wann haben Sie begonnen, den Friedenslauf zu organisieren, waren Sie auch schon beim Lichtenberg-Marathon dabei, und wie kamen Sie dazu?

Stefan Senkel: „Ja, beim Lichtenberg Marathon war ich natürlich auch dabei. Dieser wurde von unserer Laufgruppe vom WBK Berlin (Wohnungskombinat Berlin) initiiert. Diese Laufgruppe existierte seit 1979. Ein Grund für mich, einen Stadtlauf zu organisieren, waren die Eindrücke beim Kosice-Marathon in der CSSR. Dort sind wir einige Male gestartet, und es herrschte immer eine wunderbare Atmosphäre, die die Zuschauer den Teilnehmern aus Ost und West bereiteten. Das war eine Inspiration für den Lichtenberg-Marathon und damit auch für den Friedenslauf, der ja aus dem Lichtenberg-Marathon entstand. Die Entwicklung des Friedenslaufes hatte politische Hintergründe. Es war damals nicht möglich einen Lauf, vor allem einen Stadtlauf, einfach so zu veranstalten. Es musste einen Grund und einen Anlass geben. Wir veranstalteten den Lauf als Demonstration gegen die Raketenstationierung in Westeuropa. Der Lauf wurde am ersten Septemberwochenende durchgeführt, weil am 1. September der Welt-Friedenstag ist.“

Wie war die Situation des Laufsports in der DDR damals?

Stefan Senkel: „Es gab eine stürmische Entwicklung der Laufbewegung und damit eine sehr gute Resonanz für Läufe und auch für den Lichtenberg-Marathon. Zu dieser Zeit entstanden tausende Laufgruppen in der DDR, in Berlin waren es fast 100. Damit entwickelte sich natürlich auch der Wunsch sich im Wettkampf zu messen. Es gab große Läufe, wie den Guths Muths Rennsteiglauf und den Harzgebirgslauf, die im Gebirge, abseits der Straßen stattfanden. Wir wollten einen Lauf als Pendant zu diesen Läufen in der Stadt durchführen. Bei der ersten Auflage des Lichtenberg-Marathons 1981 starteten aus dem Stand heraus 500 Teilnehmer und das war natürlich ein super Ergebnis.“

Was wusste man von der Entwicklung der Läufe im Westen, haben die großen westlichen City-Läufe die Entwicklung im Osten auch beeinflusst?

Stefan Senkel: „Die Laufbewegung hat sich zu dieser Zeit weltweit explosionsartig entwickelt – auch in der DDR. Wir haben die West-Läufe im Fernsehen verfolgt. Einige wenige DDR-Läufer haben auch beim BERLIN-MARATHON teilgenommen. In Zeitungen und in Zeitschriften wie Spiridon haben wir auch über andere große Laufereignisse wie den New-York-Marathon und Stramilano gelesen.“

Was war aus Ihrer Sicht der Höhepunkt der Friedenslauf-Historie?

Stefan Senkel: „Das war einmal der Lauf anlässlich der 90. IOC Session 1985 in Ost Berlin. Da war vieles möglich. Der Kurs wurde mitten in die City verlegt. Alle Wünsche der Läufer und Organisatoren, die uns staatliche Institutionen zuvor verweigert hatten, konnten wir nun realisieren. Start und Ziel waren in der Karl-Marx-Allee, und es wurde über fünf verschiedene Distanzen, Marathon, 20 km, 10 km, 5 km und über die Meile, gestartet. Es gab einen riesigen Presserummel, und der Lauf war für den Sport in der DDR natürlich ein Aushängeschild. Die Bilder des Laufes, der Start mit diesen Massen an Läufern auf der Karl-Marx-Allee und den Startschuss gebenden Juan Antonio Samaranch, gingen um die ganze Welt. Die Sieger in jedem Lauf wurden vom IOC speziell geehrt, und es gab auch andere Preise als sonst, wie beispielsweise Fahrräder. Die Volkssport-Läufer wurden sogar mit wertvolleren Preisen geehrt als die Wettkampfsportler, da man den Volksport besonders anerkennen wollte und dieser im Mittelpunkt stand. Ein weiteres Highlight war der Friedenslauf durch Ost und West 1990. Das erste Mal konnte man auf einer neuen attraktiven Sightseeingtour durch das Brandenburger Tor und durch beide Stadthälften laufen. Es gab noch die Grenze und die Grenzbefestigungen. Das Brandenburger Tor wurde für die Läufer geöffnet. Eigentlich sollten alle Läufer einen Pass mit sich führen, wegen der Grenzkontrollen, diese fanden jedoch nicht statt, und alle Läufer sind wieder zurück nach Ost-Berlin gekommen. Es war ein fantastisches Erlebnis!"

Wie war die Situation nach der Wende beim Friedenslauf?

Stefan Senkel: „Ein bisschen schwierig. Vor der Wende brauchten wir uns keine Gedanken um Geld zu machen. Die Organisation war eingebettet in die Sportorganisation des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB). Nach der Wende war dies nicht mehr der Fall. Wir haben einen Verein, den Friedenslauf e.V., gegründet und sind mit diesem jedoch schnell an unsere Grenzen gestoßen. Dann kam die Verbindung zum SCC, der später den Lauf übernommen hat. Der SCC hatte einen anderen Background als ein neu gegründeter Verein, der nur Gegner nach der Wende hatte. Wir hatten die falschen Sponsoren und Berater. Wir Organisatoren hatten durch berufliche Neuorientierungen nicht ausreichend Zeit, um ein solch großes Laufereignis professionell vorzubereiten und durchzuführen. Wir waren also wirklich dankbar, dass Horst Milde mit dem SCC den Lauf übernommen hat.“

Hätten Sie gedacht, dass sich der BERLINER HALBMARATHON so gut entwickeln könnte?

Stefan Senkel: „Eigentlich schon. Der Halbmarathon ist einfach eine gute Distanz für jeden. Man braucht nicht so ambitioniert zu trainieren wie für einen Marathon. Es reicht, wenn man ab und zu laufen geht. Beim Marathon muss man regelmäßig über einen längeren Zeitraum trainieren, um ihn laufen zu können. Deswegen ist der Halbmarathon ideal für die Masse, jeder kann ihn laufen. Das Potential war schon immer groß, aber dass es einmal fast 20.000 Läufer aus über 60 Nationen werden könnten, das hätte ich nicht gedacht.“

Das Interview führte Marisa Reich