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European 10 000 m-Challenge in Camaiore/ Italien

Auch Mihaela Botezan mit Saison-Bestmarke - Europas

Langstreckler rüsten für die Saison – Starker Auftritt der

deutschen Mannschaft: Neben Baumann schaffen auch Mario Kröckert und

Alexander Lubina die EM-Norm

Gewiss haben die in der frühen Saison erzielten Weltbestleistungen

nicht den gleichen Stellenwert wie die bei den Höhepunkten des

Wettkampfkalenders erzielten, doch für Mihaela Botezan und weitaus mehr

noch für Dieter Baumann stellen die im kleinen toskanischen Städtchen

erzielten Weltbestmarken einen wichtigen Meilenstein in der

Europameisterschafts-Saison dar. Während sich die Rumänin sogar

minutenlang über einen vermeindlichen rumänischen Landesrekord freuen

durfte, blieb nach Verkündung der offiziellen Siegerzeit von (um zwei

Sekunden nach oben korrigierten) 31:19,74 Minuten „nur“ die

Weltbestzeit und die Genugtuung, einen weiteren Schritt zur Weltspitze

vollzogen zu haben. Dagegen ist Dieter Baumann mit einer eindrucksvollen

Vorstellung vor gerade einmal zweihundert zumeist frierenden Zuschauern mit

27:38,51 Minuten und seiner drittschnellsten 10 000 m-Zeit die Rückkehr

zur Weltspitze geglückt. „Das hat mir heute viel Spaß

gemacht“, freute sich der 37jährige Tübinger nach dem furiosen

Finale gegen den wie entfesselt laufenden spanischen WM-Sechsten von Edmonton

José Rios, der im Schlepp des 5000 m-Olympiasiegers seine Klasse einmal

mehr unter Beweis stellen konnte. Nach dem klasse Comeback sind für Dieter

Baumann die Weichen für einen EM-Start in München über die

25-Runden-Distanz gestellt, wenngleich er auch noch ein Hintertürchen

für die 5000 m-Strecke öffnen möchte. „Wenn das so klappen

sollte, dann werde ich mich für beide Strecken melden lassen“,

schießt er sogar einen Doppelstart bei den Europameisterschaften nicht

aus.

Geringes Medieninteresse Düstere Regenwolken über Camaiore, dem

malerischen Städtchen in der vorderen Gebirgskette der Apuanischen Alpen

der Toskana. Doch nach den ausgiebigen Regenfällen in den Morgenstunden

und dem entsprechenden Temperatursturz blieben die Bedingungen bei der sechsten

Auflage der European 10 000 m-Challenge erträglich – die angereisten

einhundert Athleten aus insgesamt zwanzig Nationen stellten trotz der

organisatorischen Mängel in der dörflichen Idylle des „Centro

Sportivo Tori“ mit einer Reihe von Leistungen auf ansprechendem

(internationalem) Niveau den Stellenwert der Challenge nicht in frage, die

erstmals nach fünf Austragungen in Spanien und Portugal nicht auf der

iberischen Halbinsel ausgetragen wurde. „Ich dachte noch am Morgen, die

Challenge hat die Seuche gepachtet“, drückte Isabelle Baumann ihre

Sorgen über den Fortbestand der stets Anfang April etablierten European 10

000 m-Challenge aus, nachdem noch am Morgen starke Regenfälle den Trend

der widrigen Witterungsbedingungen der Vorjahre mit Nachdruck fortzusetzen

schien. Als letztlich Dieter Baumann umrahmt von Jose Rios und Marco Mazza nach

einer Weltklassevorstellung zur Siegerehrung gebeten wurde, schien sogar

für wenige Minuten nur wenige Kilometer von den Badestränden der

Riviera entfernt die Abendsonne. Selbst im sportverrückten Italien ist der

Stellenwert der European 10 000 m-Challenge freilich gering, denn an Stelle

einer Übertragung aus Camaiore wurde im Staatssender RAI das attraktive

Straßenrennen „Scarpa d’Oro“ in Vigerano unweit von

Mailand mit dem Cross-WM-Zweiten Yuda als Leichtathletik-Leckerbissen

angeboten. Auch die italienischen Pressekollegen zeigten Camaiore die

„kalte Schulter“, so dass die ausländischen Pressevertreter

sogar den ansonsten stark präsenten Journalisten zahlenmäßig

überlegen waren.

Baumann freut sich auf das Marathon-Debüt „Rios hat das toll

gemacht und mich zur Führungsarbeit zwei Runden vor Schluss

gezwungen“, anerkannte Dieter Baumann die taktische Variante des

Spaniers, „da ich aber derzeit keine zwei Runden marschieren kann, kam er

natürlich wieder heran. Aber auf die letzten einhundert Meter war ich

vorbereitet“. Sein verschmitztes Lächeln verriet Bände und die

Gewissheit, wieder auf dem Weg zur alten Stärke zu sein. „Ja, es ist

erstaunlich gut gelaufen. Weniger mit der Zeit, sondern vielmehr, wie ich

gelaufen bin. Schließlich fehlt mir noch etwas die Erfahrung!“ Mit

seinem unnachahmlichem Blick über die linke Schulter hinweg zu den

Verfolgern hatte Baumann nach der bis zur Streckenhälfte gehenden

Führungsarbeit des Kenianers Benson Barus sofort das Kommando

übernommen mit zunächst noch acht Läufern im Schlepp. Neben den

starken Spaniern Rios und Martinez und dem Italiener Mazza zunächst auch

noch der Portugiese Antonio Pinto, Europas bester Langstreckler neben dem

für Belgien startenden früheren Marokkaner Mohammed Mourhit. Doch

eine Woche vor dessen Start beim London-Marathon fehlte Pinto

verständlicherweise etwas die nötige Spritzigkeit. Apropos Marathon.

Um die längste olympische Laufstrecke drehten sich bei Dieter Baumann in

Camaiore die Gedanken. „Ja, ich freue mich auf Hamburg. Derzeit

läuft es optimal, aber ich bleibe dabei und beteilige mich nicht an den

Spekulationen. Ich möchte in Hamburg Spaß haben!“ Spaß

hatte der Tübinger offensichtlich in Camaiore, wenngleich ihm der Termin

der 10 000 m-Challenge nicht unbedingt ins Konzept passte. Sein

dreiwöchiges Trainingslager in Tirrenia jedenfalls hätte kaum einen

eindrucksvolleren Abschluss finden können.

Szabo-Ersatz Botezan läuft Weltklassezeit Marathon ist auch für

Mihaela Botezan ein Thema. Den Frankfurt-Marathon musste die 10 000

m-WM-Fünfte von Edmonton im vergangenen Herbst wegen einer Erklärung

kurzfristig absagen, das Debüt soll in diesem Herbst nachgeholt werden.

„Nach den Europameisterschaften“, gibt sie zu verstehen, nicht ohne

darauf zu verweisen, dass sie schon Anfang Mai bei der Halbmarathon-WM eine

erste Visitenkarte auf der Straße abgeben möchte. In Camaiore

vertrat die 26jährige Rumänin ihre kurzfristig absagende Landsfrau

Gabriela Szabo vorzüglich. Mit einem starkem Schlussdrittel, die letzten

3000 m lief sie dabei in 9:06, versetzte Mihaela Botezan selbst Olympiasiegerin

Fernanda Ribeiro und steigerte ihre Bestmarke um 36 Sekunden. Während an

der Spitze ausgewiesene Spezialistinnen das Feld bestimmten, sehen die

Österreicherin Susanne Pumper trotz Landesrekord von 32:49,92 als auch die

Schweizerin Anita Weyermann, die sich das „Unternehmen Langstrecke“

zwei Wochen nach dem zweifachen Titelgewinn bei den Crossmeisterschaften

zweifellos anders als die 33:06,89 vorgestellt hatte, auf der 25-Runden-Distanz

keine Perspektiven.

Deutsche Langstreckler im Aufwind „So kann es weitergehen!“

freute sich Bundestrainer Wolfgang Heinig nach den beiden 10 000

m-Zeitläufen der European Challenge in Camaiore. Im Sog von Dieter Baumann

zeigten wie selten zuvor deutsche Langstreckler ungeahnte

Kämpferqualitäten. Bei diversen internationalen Auftritten gab es

zuletzt fast ausschließlich Prügel, desto überraschender kommt

nun ein Leistungsschub, der klare Konturen in Richtung Europameisterschaften in

München zeigt. Denn nach dem Saisonauftakt in der Toskana sind bereits

drei Langstreckler im Besitz der EM-Norm.

Als ideal erwies sich dabei für Alexander Lubina das B-Finale. Dicht

hinter dem tanisanischen Tempomacher John Stephen ließ der junge

Wattenscheider nichts anbrennen und setzte sich gegen gestandene Langstreckler

wie den Belgier Guy Fays, Mustapha El Ahmadi oder Ian Hudspith mit Bravur

durch. Dank einer 61er Schlussrunde machte der 23jährige in Camaiore sein

Meisterstück – und lief mit 28:29,15 die „weiche“

EM-Norm des DLV. „Als es heute Morgen anfing zu regnen, da habe ich mir

gedacht, das kann nur gut für dich sein!“ erklärte Alexander

Lubina seine Freude über den unerwarteten Witterungsumschwung. Denn

während sich andere über die Frühjahrsblüten und warme

Temperaturen freuen, fällt er als Frühblüher-Allergiker in

Depressionen und ins Leistungstief. „Alex hat seine Chancen

hundertprozentig genutzt!“ freute sich Coach Tono Kirschbaum,

„natürlich wäre es besser gewesen, wenn auch einmal ein anderer

Läufer geführt hätte!“ Der Junior war es nämlich, der

lange Zeit das Rennen von der Spitze weg bestimmt hatte – und letztlich

auch verdient gewann. Während sich Dieter Baumann seiner Startberechtigung

für München bereits sicher ist, muss Alexander Lubina einen weiteren

Leistungsbeweis abliefern – bei den Titelkämpfen in Dessau.

„Wenn ich dort schon laufen muss, dann möchte ich auch

gewinnen“ sagt ein selbstsicherer Alexander Lubina.

Die Hypothek, im schnelleren A-Finale an den Start gehen zu müssen,

erwies sich für einen weiteren Hoffnungsträger des DLV zum

Glücksfall. „Ich hätte sogar noch schneller anlaufen

können“, freute sich ein Mario Kröckert über sein

gelungenes Debüt auf der Langdistanz, nachdem er mit 14:03 eine sehr

schnelle erste Hälfte vorgelegt hatte. Nach 28:25,87 Minuten fielen sich

Dieter Baumann und Mario Kröckert in die Arme, denn Baumanns junger

Teamkollege aus Leverkusener Tagen hatte wie auch Alexander Lubina die

DLV-Nachwuchsnorm für München geschafft. „Ich muss auf dieser

Strecke erst einmal Erfahrungen machen“, gestand der 24jährige

Bundeswehrsoldat später, „nicht zuletzt werde ich alles auf die

Karte 5000 Meter setzen!“ Schön, wenn man zu Beginn der Saison eine

erste Trumpfkarte im Ärmel bereits hat.

„Schade, dass Jens Bormanns Start bis zu letzt auf der Kippe stand. So

gesehen ist seine Leistung noch ok“, bedauert Bundestrainer Heinig. Der

deutsche Crossmeister musste nach einem Infekt gehandikapt ins Rennen gehen und

lief als Sechster des B-Finales mit 28:56,57 Minuten sogar noch im Bereich

seiner Bestzeit, der erwartete Leistungssprung blieb jedoch aus. Pech für

Oliver Mintzlaff, dass wegen eines Muskelfaserrisses das Rennen bereits nach

vier Kilometern beendet war.

Wilfried Raatz

Camaiore in Zahlen:

European 10 000 m-Challenge 2002 (6.4.):

Männer: A-Finale: 1. Dieter Baumann (De/ LAV Tübingen) 27:38,51,

Jose Rios (ESP) 27:38,82, 3. Marco Mazza (ITA) 27:44,05, 4. Jose M. Martinez

(ESP) 27:51,01, 5. Antonio Pinto (POR) 27:51,01, 6. Dmitriy Maksimov (RUS)

27:54,11, 7. Kamiel Maase (NED) 27:57,54, 8. Dennis Jensen (DEN) 28:01,36, 9.

Gamba (ITA) 28:04,58, 10. Van Hooste (BEL) 28:07,12, 11. Zanon (ITA) 28:08,46,

12. Haughian (GBR) 28:19,29, 13. Ramos (POR) 28:21,21, 14. Nyberg (SWE)

28:22,06, 15. Mario Kröckert (De/ TSV Bayer Leverkusen) 28:25,87, 16.

Maravilha (POR) 28:27,59, 17. Cunado (ESP) 29:01,13, 18. Smith (GBR) 29:13,60,

19. Matthews (IRL) 29:19,28, 20. Adan (ESP) 29:33,09, 21. Caceres (ESP)

29:36,40, Jesus (POR) dnf. B-Finale: 1. Alexander Lubina (De/ TV Wattenscheid)

28:29,15, 2. Guy Fays (BEL) 28:32,54, 3. Dmitriy Semenov (RUS) 28:45,35, 4.

Mustapha El Ahmadi (FRA) 28:52,50, 5. Ian Hudspith (GBR) 28:56,41, 6. Jens

Borrmann (De/ SC DHfK Leipzig) 28:56,57, 7. Maccagnan (ITA) 28:57,75, 8. Nemeth

(BEL) 29:18,40, 9. Raymaekers (NED) 29:43,32, 10. Keyzar (SLO) 29:46,23, 11.

Rame (NOR) 30:03,49, 12. Mohamed (SWE) 30:04,69, 13. Vik (NOR) 30:40,47,

Mintzlaff (De/ LG Eintracht Frankfurt), Collignon (BEL), P. Gomes (POR)

dnf.

Frauen: A-Finale: 1. Mihaela Botezan (ROM) 31:19,74, 2. Fernanda Ribeiro

(POR) 31:40,30, 3. Luisa Larraga (ESP) 31:45,85, 4. Ana Dias (POR) 31:56,24, 5.

Alina Gherasim (ROM) 31:59,39, 6. Ann Keenan-Buckley (IRL) 32:18,03, 7.

Elizabeth Yelling (GBR) 32:26,53, 8. Rodica Moroianu (FRA) 32:27,81, 9. Ryan

(IRL) 32:32,36, 10. Marconi (ITA) 32:36,25, 11. Pumper (AUT) 32:49,92 (LR), 12.

Balsamo (ITA) 32:51,75, 13. Rosa (POR) 32:54,90, 14. Sommaggio (ITA) 33:03,51,

15. Santiago (ESP) 33:04,34, 16. Weyermann (SUI) 33:06,89, 17. Elias (POR)

33:12,21, 18. Recio (ESP) 33:58,77, Sampaio (POR), Abel (ESP) dnf. B-Finale: 1.

Hayley Yelling (GBR) 32:48,50, 2. Irma Heere (NED) 33:01,55, 3. Rosita Rota

Gelpi (ITA) 33:08,34, 4. Alexandra Aguilar (ESP) 33:11,38, 5. Nili Abramsky

(ISR) 33:27,87 (LR), 6. Marzena Michalska (POL) 33:29,57, 7. Vibjerg (DEN)

33:35,48, 8. Karlshoj (DEN) 33:53,07, 9. Stalder (SUI) 33:53,39, 10. Valasti

(FIN) 34:08,76, 11. Tisi (ITA) 34:24,54, 12. Baumann (AUT) 34:26,05, 13. Van

den Haeseveld (BEL) 34:36,24, Hajjami (FRA) dnf.